Berlin trägt Kippa



Grußwort von Zentralratspräsident Dr. Josef Schuster bei der Solidaritätskundgebung „Berlin trägt Kippa“, 25.4.2018, Berlin

Es gilt das gesprochene Wort!

 

Anrede,

Heute haben wir uns hier versammelt, weil wir sagen: Es reicht!

Vor sechs Jahren wurde Rabbiner Daniel Alter in Friedenau überfallen und zusammengeschlagen. Die Täter sind bis heute nicht gefasst.

Zwei Jahre später wird ein israelisches Ehepaar auf dem Kudamm mit „Nazimörder Israel“ beschimpft.

2016 beleidigen Kontrolleure in der S-Bahn israelische Touristen mit antisemitischen Sprüchen.

Ende vergangenen Jahres brennen auf Demonstrationen israelische Fahnen.

Kurz später wird ein israelischer Gastronom in Schöneberg auf übelste Weise beschimpft.

Vor zwei Wochen werden zwei Rapper mit dem „Echo“ ausgezeichnet, die Opfer der Schoa verhöhnen.

Und vor acht Tagen wird ein arabischer Israeli, der eine Kippa trägt, im Prenzlauer Berg mit einem Gürtel geschlagen. 

Es reicht!

Uns, der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland  reicht es schon lange.

Deshalb bin ich sehr froh, dass sich hier heute Abend so viele Menschen versammelt haben, ob aus Berlin oder anderen Städten, die ebenfalls sagen: Es reicht!

Im Namen der jüdischen Gemeinschaft will ich daher schlicht Danke sagen! Danke, dass Sie gekommen sind! Danke, dass Sie Ihre Solidarität zeigen! Danke, dass Sie den Antisemitismus in unserem Land nicht leugnen!

Denn leider denkt die nicht-jüdische Mehrheit in Deutschland, es gäbe kaum noch Antisemitismus. Sie erlebt ihn ja auch nicht.

Wenn sie am Sonntag zur Kirche geht oder ihre Familie für den Sonntagsausflug rüstet, muss sie sich keine Gedanken darüber machen, ob man sie als Christen oder Fans von Hertha BSC erkennen kann.

Doch jüdische Eltern machen sich diese Gedanken wieder. Schon seit längerer Zeit. Immer mehr sehen sich gezwungen, ihren Kindern einzutrichtern, nach dem Gottesdienst die Kippa abzusetzen. Oder eine Basecap darüber zu ziehen.

Sie sagen ihrer Tochter in der U-Bahn, sie soll die Kette mit dem Davidstern unterm Pullover verschwinden lassen.

Sie verzichten zum 70. Geburtstag von Israel auf das T-Shirt mit Israel-Flagge.

Das, meine Damen und Herren, ist die Realität in Deutschland im Jahr 2018! Das erscheint den meisten Menschen vielleicht sehr weit weg. Doch es passiert hier, mitten unter uns. Wir erleben es jeden Tag.

Das, meine Damen und Herren, ist die Realität in Deutschland im Jahr 2018!

Und deshalb sage ich heute ganz deutlich: Ein Weiter-so darf es nicht geben!

Wir haben uns in Deutschland viel zu gemütlich eingerichtet. Ein bisschen Antisemitismus, ein bisschen Rassismus, ein bisschen Islam-Feindlichkeit – ist doch alles nicht so schlimm?

Doch, es ist schlimm!

Und deshalb fordern wir: 100 Prozent Respekt!

Nicht nur wir Juden, sondern die gesamte Gesellschaft darf sich nicht mit weniger zufrieden geben.

Denn sonst bleibt eine intolerante Gesellschaft übrig. Und in dieser intoleranten Gesellschaft wird es Gruppen und Parteien geben, die sich anmaßen zu bestimmen, wer dazu gehört und wer nicht.

Diesen Zustand, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, hatten wir schon einmal in Deutschland. Diesen Zustand dürfen wir nie wieder erreichen!

Deshalb fordere ich 100 Prozent Respekt!

Das heißt aber auch 100 Prozent Respekt vor unseren Werten und vor unserem Rechtsstaat.

Und wer sich den Spielregeln widersetzt, die unser Grundgesetz festlegt, der darf nicht mit Toleranz rechnen. Es bringt unserer Gesellschaft nichts, eine Harmoniesoße über alles zu kippen.

Lehrer, die Antisemitismus an ihrer Schule verschweigen oder schönreden, erweisen ihren Schülern einen Bärendienst.

Kommunen, die Neo-Nazi-Umtriebe stillschweigend hinnehmen, um den Tourismus nicht zu gefährden, erweisen unserer Demokratie einen Bärendienst.

Wenn bei Gedenkfeiern nach einem islamistischen Attentat der Gewalttäter nicht klar benannt wird, sondern alle Religionen in einen Topf geworfen werden, erweist man dem interreligiösen Dialog einen Bärendienst.

Liebe Freundinnen und Freunde,

in unseren jüdischen Gemeinden machen wir uns Sorgen über diese Realität in Deutschland. Und manchmal gibt es bei uns den Drang,    lieber unter Seinesgleichen zu bleiben.            Oder sich resigniert zurückzuziehen.

Doch wir tun dies nicht!

Wir laden weiter ein zum Tag der offenen Tür.

Wir gehen weiter in Schulklassen.

Wir suchen das Gespräch mit Kirchen und Moscheegemeinden.

Wir, die Juden in Deutschland, stehen mit ausgestreckter Hand da.

Wir strecken sie auch noch einmal aus, wenn sie verschmäht wurde.

Doch unsere Geduld ist begrenzt.

Deshalb appelliere ich an Sie alle:

Lassen Sie Werte wie Toleranz, Respekt und Zivilcourage nicht schleifen!

Gewöhnen Sie sich nicht an abfällige Sprüche!

Leisten Sie Ihren Beitrag, Ihren vielleicht ganz kleinen Beitrag zu einer Gesellschaft, in der alle Religionen und alle Gruppen unbehelligt leben können.

Nur dann, nur mit dem Beitrag jedes Einzelnen von Ihnen, erreichen wir 100 Prozent.

100 Prozent Respekt für Juden, für Muslime, für Ausländer, für Homosexuelle und für alle Hautfarben.

Nicht mehr!

Aber auch nicht weniger!

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