Begrüßungsrede von Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, zur Verleihung des Paul-Spiegel-Preises an Andrea Röpke, 17.6.2015, in der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf



Sperrfrist: Mittwoch, 17. Juni 2015, 17.00 Uhr (MESZ)

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede,

ich begrüße Sie ganz herzlich hier in der schönen Synagoge der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland ist hier nicht der Hausherr. Daher danken wir der Gemeinde sehr herzlich, dass wir hier zu Gast sein dürfen - in der Gemeinde, in der Paul Spiegel seligen Angedenkens viele Jahre Vorsitzender war, in der er geheiratet hat, in der Stadt, in der er gelebt und gearbeitet hat.

Wir ehren heute eine Frau, die normalerweise nicht auf der Bühne steht, sondern die beobachtet, die getarnt agieren muss, die sich manchmal vorsichtig und unauffällig heranpirschen muss wie eine Jägerin.

Andrea Röpke hat es bei ihrer journalistischen Arbeit tatsächlich mit einer gefährlichen Gattung zu tun. Und schon mehrfach hat sie dazu beigetragen, Exemplare dieser Gattung zur Strecke zu bringen.

Ich freue mich sehr, dass wir heute die mutige und exzellente Journalistin Andrea Röpke für ihre jahrelangen Recherchen und ihre Veröffentlichungen über Neonazis mit dem Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage ehren!

Über die Preisträgerin würde sich der frühere Zentralratspräsident Paul Spiegel seligen Angedenkens in doppelter Hinsicht freuen: Weil Andrea Röpke Journalistin ist und wegen ihres Engagements gegen die rechte Szene.

Vergessen wir nicht: Paul Spiegel seligen Angedenkens war mit Leib und Seele Journalist. Mit dem ihm eigenen wunderbaren Humor hat er einmal seine Anfänge bei der damaligen „Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland“ geschildert: Als Redaktions-Volontär „musste ich die Telefonzentrale bedienen, Gebäck für die Redaktion besorgen, das Archiv ordnen und Korrektur lesen.“

Sein Traum vom großen Journalismus hatte sicherlich anders ausgesehen.

Andrea Röpke arbeitet als freie Journalistin. Doch auch sie wird wissen: Der journalistische Alltag besteht nicht nur aus Sternstunden. Es braucht Ausdauer, Geduld, Beharrlichkeit und ein großes Knowhow, um schließlich Berichte schreiben zu können, die etwas bewirken oder zumindest die Leser bewegen.

Und im Fall von Andrea Röpke ist noch mehr nötig: Zivilcourage!

Denn Neonazis mögen es gar nicht, wenn ihre Seilschaften aufgedeckt, ihre Methoden bekannt oder ihre Pläne publik werden. Andrea Röpke hat dies schmerzlich am eigenen Leib erfahren müssen. 2006 filmte und fotografierte sie gemeinsam mit einem Fotografen ein Treffen der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ in Brandenburg. Als mehrere Neonazis plötzlich auf sie zurannten, flüchteten die Journalisten in einen Supermarkt. Dort wurde Andrea Röpke von einem der Neonazis zu Boden gestoßen und ins Gesicht geschlagen. Der Fotograf wurde gewürgt. Der Täter wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. Im Supermarkt kam ihnen übrigens niemand zu Hilfe.

2009 wurde die „Heimattreue Deutsche Jugend“ verboten. Nun lässt sich nicht bemessen, ob die Berichte von Andrea Röpke Anteil am Verbot hatten. Aber Fakt ist: Unsere Gesellschaft braucht Aufklärung über diese rechtsextremen Umtriebe. Denn nur so werden Lokalpolitiker, Polizei, Vereine und Bürger sensibilisiert, um die manchmal gut getarnten Rechten zu erkennen und gegen sie vorgehen zu können.

Und deshalb ist es so wichtig, dass Journalisten wie Andrea Röpke weiterhin ihre Arbeit ausüben können. Denn mit ein paar schnellen Klicks im Internet ist es hier nicht getan. Wenn jedoch Verlage ihre Redaktionen immer mehr verkleinern, wenn Honorare immer geringer werden, dann ist ein solcher investigativer und hochwertiger Journalismus in seiner Existenz bedroht.

Auch wir, der Zentralrat der Juden in Deutschland, leisten uns eine Zeitung, die „Jüdische Allgemeine“. Ich sage bewusst: leisten. Kostendeckend ist eine Zeitung heutzutage kaum noch zu führen. Es gibt aber so etwas wie eine gesellschaftliche Verpflichtung. Wir sehen sie darin, unsere spezielle jüdische Perspektive für eine breite Öffentlichkeit sichtbar zu machen.

Die großen Verlage in Deutschland sollten ihre Verpflichtung darin sehen, für die Demokratie einzutreten. Dafür brauchen sie vernünftige Rahmenbedingungen. Gerne wird die Presse als vierte Gewalt im Staate bezeichnet – das zieht aber auch eine große Verantwortung nach sich, für die Journalisten und für die Politik.

Liebe Anwesende, die Arbeit von Andrea Röpke ist nicht nur für Journalisten vorbildlich. Sie hält auch häufig Vorträge und arbeitet mit Jugendlichen. Dabei gibt sie ihr Wissen weiter und vermittelt durch ihre eigene Person, wie wertvoll Zivilcourage ist. Heribert Prantl von der „Süddeutschen Zeitung“ hat Ihre Arbeit einmal als „praktizierten Verfassungsschutz und Nothilfe für die Demokratie und die Menschenwürde“ bezeichnet.

Auch dies ist exakt im Sinne von Paul Spiegel seligen Angedenkens. Er hat den Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus nie einfach hingenommen. Nach dem Brandanschlag im Jahr 2000 auf diese Synagoge hier, in der wir gerade sitzen, fragte er öffentlich: „Was muss noch geschehen, bis wir uns die Frage stellen, ob es richtig war, in dieses Land zurückzukehren?“

Diese Frage ist leider immer noch aktuell. Im vergangenen Sommer, bei den Israel-feindlichen Demonstrationen haben sich einige Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft dies wieder gefragt. 2014 war es vor allem der Antisemitismus aus der muslimischen Community, der sich offen zeigte und uns verstört hat.

Uns ist aber sehr wohl auch die Gefahr durch Rechtsextreme bewusst. Im vergangenen Jahr registrierte die Polizei 1.596 antisemitische Straftaten, das war ein Viertel mehr als 2013. Davon gingen mehr als 1.300 auf das Konto von Rechtsextremisten. Sehr viele antisemitische Übergriffe werden gar nicht gemeldet. Die wahre Zahl dürfte also noch deutlich darüber liegen.

Die Zahlen wurden durch eine Anfrage des Grünen-Politikers Volker Beck bekannt. Eine Reaktion von der Bundesregierung habe ich zumindest nicht gehört. Ein Aufschrei geht durchs Land bei sexistischen Bemerkungen eines Politikers. Oder über Frauen, die ihre Mutterschaft bereuen. Aber hier? Stille. Achselzucken – in der Politik. In den sozialen Netzwerken. Das erschreckt mich. Und das akzeptieren wir nicht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

es ist kein Zufall, dass der Paul-Spiegel-Preis bisher vor allem an Menschen vergeben wurde, die sich den Neonazis mutig entgegen stellen. Ich möchte gerne an unsere Preisträger der vergangenen Jahre erinnern – denn sie haben in ihrem Engagement nicht nachgelassen.

Da ist einmal Polizeipräsident Bernd Merbitz. Bernd Merbitz engagiert sich ganz außerordentlich im Kampf gegen den Rechtsextremismus in Sachsen. Es wäre schön, wenn er in ganz Deutschland damit für Polizisten ein Vorbild wäre.

Ich habe vor kurzem gefordert, dass nicht nur Schüler, sondern auch Polizisten in ihrer Ausbildung eine KZ-Gedenkstätte besuchen sollten. Dabei hatte ich genau dies im Sinn: Polizisten müssen die braune Vergangenheit Deutschlands kennen, um richtig auf die braune Gegenwart reagieren zu können. Es macht mich beklommen, wenn ich in der „Jüdischen Allgemeinen“ im Interview mit Frau Röpke lese, dass Polizisten sie manchmal sogar in ihrer Arbeit behindern.

2011 ging der Paul-Spiegel-Preis in den kleinen Ort Jamel in Mecklenburg-Vorpommern. Dort wehrt sich das Künstler-Ehepaar Birgit und Horst Lohmeyer seit Jahren tapfer gegen die Neonazi, die Jamel längst zur sogenannten national-befreiten Zone erklärt haben.

Und die Bürgerinitiative „Wir für Lübtheen“, die wir 2013 ausgezeichnet haben, versucht seit Jahren, in der mecklenburg-vorpommerschen Gemeinde den Einfluss der NPD zu beschränken. Die NPD hat sich dort als Kümmerer für alle sozialen Belange eingenistet.

Alle unsere Preisträger haben eines gemeinsam: Sie wurden wegen ihres Engagements von den Rechtsextremen angefeindet, bedroht oder sogar angegriffen. Und gemeinsam haben sie noch etwas: Keiner von ihnen hat sich davon einschüchtern lassen! Alle machen weiter in ihrem Kampf gegen Rechts!

Beharrlichkeit zahlt sich aus. Und so bleibt auch der Zentralrat der Juden bei seiner Forderung nach einem Verbot der NPD! Wir sind nicht so naiv zu glauben, dass der Rechtsextremismus damit verschwindet. Dennoch wäre ein Verbot ein wichtiger Erfolg: Denn die NPD bietet vielen Neonazis mit ihrer Infrastruktur eine Basis für ihre Aktionen. Und das alles mit Staatsgeldern.

Wir hoffen sehr, dass dieses Mal die Belege der Länder ausreichen, um das Verbot der NPD beim Bundesverfassungsgericht erfolgreich durchzusetzen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

über die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus dürfen wir den Antisemitismus von muslimischer Seite nicht ausblenden. Der Zentralrat der Juden spricht dieses Problem seit längerem an, obwohl wir dann schnell als islamophob verdächtigt werden. Das entbehrt allerdings jeglicher Grundlage. Es muss im Interesse der Muslime selber und unserer gesamten Gesellschaft liegen, dass Antisemitismus nicht geduldet wird – egal, aus welcher Ecke er kommt.

Deshalb haben wir 2012 die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus mit dem Paul-Spiegel-Preis ausgezeichnet, die mitten in der Szene hervorragende Arbeit mit jungen Muslimen macht. Es gibt die Initiative seit zehn Jahren, und immer wieder muss sie um ihre Existenz kämpfen.

Meine Damen und Herren,

unsere Preisverleihung findet an einem Datum statt, das ebenfalls viel mit Zivilcourage zu tun hat: Am 17. Juni 1953 erhoben sich mehr als eine Millionen Ostdeutsche gegen die Missstände in der DDR und demonstrierten für demokratische Rechte. Ich muss ehrlich zugeben: Es ist Zufall, dass die Preisverleihung gerade heute stattfindet. Aber manchmal haben ja auch Zufälle einen Symbolwert.

Andrea Röpke hat den Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage mehr als verdient. Und ich freue mich, dass Sie alle heute hier in Düsseldorf mit Ihrer Anwesenheit ein Zeichen der Solidarität setzen. Die Menschen, die aktiv und mutig den Rechtsextremismus bekämpfen, brauchen unseren ganzen Rückhalt! Ohne Zögern, ohne Aber. Denn sie gehören zu den wichtigsten Stützen unserer Zivilgesellschaft. Sie verteidigen unsere Demokratie und unsere Freiheit!

Ich danke Ihnen!

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