Kwod Harabanim,
sehr geehrter Herr Botschafter Prosor,
sehr geehrte Frau Präsidentin Bas,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident Wüst,
sehr geehrter Ehrengäste,
sehr geehrte Margot Friedländer – alles Liebe nachträglich zum Geburtstag –
sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages,
sehr geehrte Damen und Herren,
und natürlich: sehr geehrter Herr Watzke, verehrte Familie und Freunde von Herrn Watzke,
ich möchte Sie alle herzlich zur Verleihung des Leo-Baeck-Preises 2024 begrüßen.
Es gibt Momente, in denen ist es ganz still, obwohl der Lärm um einen herum kaum auszuhalten ist. Der Jahrestag des Hamas-Massakers in Israel vor wenigen Wochen war so ein Moment.
Ich war in Berlin unterwegs: mittags Bundespressekonferenz, am Tag zuvor Gedenken an die Geiseln in München, am Nachmittag Gedenkfeier in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und der jüdischen Gemeinde, abends dann eine Veranstaltung des Zentralrats – da funktioniert man einfach.
Das alles wird begleitet von Meldungen rund um den Jahrestag zu Anti-Israel Demos, andauerndem Judenhass an Universitäten und dann immer wieder Raketenbeschuss auf Israel, in meiner Geburtsstadt Haifa schlägt eine Rakete ein, die Eliminierung des Hisbollah-Anführers ist für die deutsche Außenministerin eine – Zitat – Eskalation.
Erst in der vergangenen Woche haben wir die schrecklichen Bilder aus Amsterdam gesehen. Man droht in diesen Phasen abzustumpfen.
In diese Taubheit kommen aber auch Nachrichten, die einen in den rar gesäten Pausen der Hektik dieser Tage Kraft schöpfen lassen.
Nachrichten, die Mut machen und die einem Zeigen, es ist nicht an der Zeit zu resignieren, sondern es ist Zeit, die Reihen zu schließen.
Es sind auch Nachrichten, die ich mit Hans-Joachim Watzke verbinde, so wie die von dem Engagement von Borussia Dortmund, die rund um den Jahrestag des 7. Oktober in Veranstaltungen darüber informieren, wie all das begann – wer ist Ross und wer Reiter. Erneut war der BVB auch in der vergangenen Woche einer der ersten Vereine, der klar die Gewalt in Amsterdam verurteilte.
Und der Verein zeigt, wie auch einige andere Vereine, Empathie – Empathie mit den Menschen Israels und mit den Jüdinnen und Juden in Deutschland, die seit über einem Jahr im Schatten dieses Massakers leben und die hier in Deutschland, in vielen Bereichen nicht mehr sicher sind, meine Damen und Herren.
Sie, lieber Hans-Joachim Watzke, stehen stellvertretend für diese Empathie. Sie ist nicht künstlich, sie weicht auch nicht wirtschaftlichen Erwägungen wie das vielleicht auf dem internationalen Absatzmarkt ankommen könnte und sie ist nicht erst seit dem 7. Oktober 2023 da. Borussia Dortmund ist schon lange Partner der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland und des Zentralrats der Juden als ihre Vertretung.
Gemeinsam mit der DFL und dem World Jewish Congress haben wir 2022 beim BVB den „Fachtag Antisemitismus“ veranstaltet.
Immer wieder ist der Verein eine Plattform für den Kampf gegen Antisemitismus. So zum Beispiel in der Kooperation des BVB-Lernzentrums mit dem Zentralratsprojekt „Meet a Jew“, welches auch vom Bundesprogramm „Demokratie Leben“ gefördert wird.
Und er ist ein Vorreiter. Als erster Fußball-Bundesligist übernahm Borussia-Dortmund die IHRA-Antisemitismusdefinition – alle anderen zogen nach.
Immer mit dabei, stets besonnen, ruhig und im Stile eines wahren Kapitäns, ist Hans-Joachim Watzke. Er ist – auch wenn er das nicht gerne hört – der intellektuelle Wegbereiter dieses Engagements.
Es geht dabei um viel mehr, als das, was nach außen dringt. Seit zehn Jahren organisiert der Verein für Fans und Mitarbeiter Exkursionen zu KZ-Gedenkstätten, es existiert eine Partnerschaft mit Yad Vashem.
Der Blick in die Vergangenheit wird dabei stets verbunden mit der Frage, was das für das hier und jetzt bedeutet. Es wird schnell deutlich, es geht nicht um oberflächliches PR-Gehabe, sondern da steckt Tiefe drin.
Wir alle wissen, dass so etwas nur mit dem richtigen Team funktionieren kann und deswegen soll dieser Preis heute auch eine Anerkennung an die Mitarbeiter von Borussia Dortmund sein, die diese Haltung verkörpern und sich vehement gegen Antisemitismus einsetzen – vielen Dank!
Meine Damen und Herren,
an einem Tag wie heute wird uns auch eines klar: So sehr wir es auch wollen, es gibt kaum eine Sphäre unserer Gesellschaft, die einfach nur für sich existiert, als pure Form.
Ja, Sport soll auch eine Möglichkeit bieten, allen schlechten Seiten des Lebens für einen Moment entkommen zu können; wie für die israelischen Kinder, Angehörige der Terroropfer und Geiseln, die der BVB mehrmals im vergangenen Jahr nach Deutschland eingeladen hat.
Aber Sport kann in einer offenen wertebasierten Gesellschaft auch nicht konturlos sein. Er kann nicht neutral sein, wenn es um die Grundüberzeugungen unseres Zusammenlebens geht.
An kaum einem anderen Ort wird das so deutlich, wie hier in der Jesse-Owens-Lounge im Berliner Olympiastadion meine Damen und Herren.
Hier, wo der US-Sprinter bei den Olympischen Spielen 1936 mit vier Goldmedaillen die NS-Gastgeber zumindest für einen Augenblick bloßstellen konnte.
Sie, die mit ihrem Rassenwahn den Erfolg eines Afro-amerikanischen Sportlers nur schwer aushalten konnten, nutzten diese Olympischen Spiele um ihr menschenverachtendes Regime international zu etablieren.
Es war Jesse Owens nicht vermocht, das zu verhindern. Gerade internationaler Sport ist auch heute noch anfällig dafür, in den Sog diktatorischer Regime gezogen zu werden.
Hier sitzt das Geld locker. Wir haben das bei der Fußball WM in Katar erlebt. Ein Land, das für Jüdinnen und Juden kein guter Ort ist. Einige Ereignisse aus dieser Zeit wirken aus heutiger Sicht wie dunkle Vorboten dessen, was israelischen und jüdischen Sportlern nun häufig widerfährt.
Das Schweigen der UEFA zum Anti-Israel-Banner der Fans von Paris Saint Germain im Champions League Spiel vergangene Woche war ein erneutes Beispiel der phasenweisen Disfunktionalität dieser Verbände.
Umso wichtiger ist es, dass es Menschen wie Hans-Joachim Watzke gibt, der unermüdlich für seine Haltung wirbt; der in der Lage ist, dem zweitgrößten Sportverein Deutschlands – und dem fünftgrößten der Welt – ein Image zu geben, das so eindeutig an der Seite der Jüdinnen und Juden in Deutschland steht.
Und das auch in den Momenten, wenn es wehtut; wenn es einmal nicht bequem ist und von „großem Glück“ und „Geschenk“ jüdischen Lebens gesprochen wird.
Dabei geht es nicht um blinde Loyalität – das ging es nie. Das ist, in seiner Wirkung, manchmal übrigens ebenso schlimm, wie das, was man eigentlich bekämpfen möchte.
Wir alle haben die Wahrheit nicht gepachtet. Aber bei allem, was wir tun, muss die Menschenwürde im Zentrum stehen. Das ist der Kompass.
Und mehr als das erwarte ich auch nicht. Alles andere wäre vermessen.
Wir brauchen für unser Zusammenleben Partnerschaften auf Augenhöhe – Beziehungen, die es auch aushalten, dem Gegenüber zu sagen, wenn man mit einer Sache nicht einverstanden ist.
Ich war nicht begeistert, dass Borussia Dortmund ein Sponsorenverhältnis mit einem Rüstungsunternehmen eingeht, das erheblichen Nachholbedarf in der Beschäftigung mit der eigenen Geschichte im Nationalsozialismus hat.
Ich muss auf der anderen Seite allerdings anerkennen und darauf vertrauen, dass es gerade hier gemeinsam mit dem Verein womöglich Projekte geben wird, die das ändern.
Meine Damen und Herren,
der Zentralrat der Juden in Deutschland verleiht seine höchste Auszeichnung, den Leo-Baeck-Preis, an Menschen, die jeden Tag unsere Welt ein Stück besser machen wollen.
Er erinnert an Rabbiner Leo Baeck seligen Angedenkens, dessen Bedeutung für das Judentum in Deutschland, aber auch weltweit, sowie für die konzeptionelle Arbeit des Zentralrats in Worten kaum zu beschreiben ist.
Seit 1957, rund ein Jahr nach dem Tod Baecks am 2. November 1956, verleiht der Zentralrat der Juden in Deutschland diesen Preis als Zeichen für Zivilcourage und demokratisches Bürgerethos.
Er steht im Geiste Leo Baecks, der allein mit seiner Existenz und natürlich mit seinem Wirken ein Sinnbild des Aufbäumens gegen Ungerechtigkeit und eine Kontrastfolie für Gleichgültigkeit gewesen ist.
Ein zentraler Aspekt von Leo Baecks Denken war das „Menschsein“, das er auch als Wesen der Menschen zwischen Weltlichem und Geistlichem betrachtete. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs veröffentlichte Baeck einen bemerkenswerten Aufsatz. Er richtete sich gegen den bereits grassierenden militanten Nationalismus.
Baeck schrieb, ein Mensch zu sein, schließe ein, auch „Mitmensch“ zu sein und somit auch eine Pflicht zur Verantwortung füreinander zu haben. Wahre Frömmigkeit, so Baeck, gebe es zudem nur in der Beziehung zum Mitmenschen.
Dass er darin auch einen Weg der Brücke zwischen den Völkern sah, bewies bereits früh seine Fähigkeit, auch in diesen Zusammenhängen zu denken.
Dass es ohne Menschlichkeit keine Brücken geben konnte, sollte sich nur allzu schnell erneut beweisen.
Einmal irrte Baeck, als er nach der Schoa die Epoche der Juden in Deutschland ein für alle Mal für beendet erklärte. Eine Fehleinschätzung allerdings, die ich aus tiefstem Herzen nachempfinden kann und die uns auch heute noch mahnen kann, nicht wegzuschauen.
Nicht wegzuschauen, wenn Jüdinnen und Juden in Deutschland bedroht sind, wenn sie angegriffen werden oder auch die Ausübung ihrer Religion infrage gestellt wird.
Antisemitismus ist in Deutschland neben seinen gewalttätigen Auswüchsen leider auch ein Alltagsphänomen.
Es liegt an uns allen, dass Baeck, der die Größe und die Weitsicht hatte, seine Prognose noch vor seinem Tod zu korrigieren, mit dieser Anpassung recht behalten soll.
Er, der Theresienstadt überlebte, wurde aus seiner neuen Heimat London zum Zeugen und Wegbegleiter der jüdischen Nachkriegsgemeinschaft in Deutschland.
1953 lehnte Leo Baeck die Ehrung mit dem Großen Bundesverdienstkreuz nicht ab, was nicht Wenige von ihm erwartet hätten. Ihm war das Gemeinsame wichtiger als das Trennende.
Meine Damen und Herren, lieber Hans-Joachim Watzke,
aus diesem Andenken an Leo Baeck erwächst Anerkennung und Anspruch zugleich.
Ich gratuliere Ihnen von ganzem Herzen zum Leo-Baeck-Preis 2024.
Nun freue ich mich gleich auf einen weiteren Freund der jüdischen Gemeinschaft, einen vehementen Streiter für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus: Es ist mir eine große Freude, dass Ministerpräsident Hendrik Wüst zugesagt hat, die Laudatio auf Hans-Joachim Watzke zu halten.
Zunächst sehen wir aber erstmal einen Film über den Preisträger.
Ihnen allen vielen Dank für die Aufmerksamkeit!