"Anwälte der Schwachen und Bedürftigen"



Grußwort von Zentralratspräsident Dr. Josef Schuster beim Festakt zum 100-jährigen Bestehen der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, ZWST, 10.9.2017, Frankfurt

Foto: Rafael Herlich
Foto: Rafael Herlich

Um 100 Jahre ZWST zu würdigen, möchte ich Ihnen gerne von Paul Bertold erzählen. Sie kennen Paul Bertold nicht? Paul Bertold veröffentlichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts Erzählungen und ein Theaterstück sowie eine Schrift über Juden in Galizien.

Paul Bertold ist für die Zentralwohlfahrtsstelle eine entscheidende Figur. Denn eigentlich verbarg sich dahinter eine Frau, der es zu wenig war, als höhere Tochter ihr Leben zu verbringen. Berufstätigkeit, geschweige denn die Veröffentlichung eigener Werke – das war damals bei Frauen nicht gern gesehen. Deshalb wählte Bertha Pappenheim ein männliches Pseudonym: Paul Bertold.

Und Sie werden mir zustimmen: Bertha Pappenheim gehört zu jenen Persönlichkeiten, ohne die die ZWST vielleicht nie gegründet worden wäre, definitiv aber nicht wäre, was sie heute ist. Nachdem sich Bertha Pappenheim jahrelang für die Rechte von Frauen und Mädchen eingesetzt hatte, gab sie vor 100 Jahren den entscheidenden Anstoß für die Gründung der Zentralwohlfahrtsstelle. Damit wurde die jüdische soziale Arbeit erstmals unter ein Dach gestellt und koordiniert.

Mit ihrer Arbeit hat Bertha Pappenheim etwas getan, was bis heute für uns wesentlich ist: Sie hat sich stark gemacht, für jene, die selbst alleine ihre Rechte nicht durchsetzen konnten. Sie hat ihre Stimme erhoben für Menschen, denen niemand zuhörte. Bertha Pappenheim war wirklich Anwältin der Schwachen und Bedürftigen.

Meine Damen und Herren, es gibt noch eine weitere Persönlichkeit, die ich zu diesem Jubiläum würdigen möchte: Das ist Benni Bloch. Manche sagen: Benni Bloch, das ist die ZWST, und die ZWST, das ist Benni Bloch. Ich weiß aber, der erste, der sich gegen diese Gleichsetzung wehrt, ist Benni Bloch selbst. Denn ihm ist klar, dass auch er ohne seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die ZWST nicht am Leben halten könnte.

Dennoch: Mit deinem Engagement über Jahrzehnte, lieber Benni, bist du in die Fußstapfen von Bertha Pappenheim getreten und hast dich ebenso wie sie immer auf die Seite der Schwachen gestellt. Dafür danke ich dir ganz herzlich!

Für die ZWST ist dieses Engagement Auftrag bis heute: Die Zentralwohlfahrtsstelle nimmt sich derer an, die Unterstützung brauchen. Und sie mischt sich ein, wo ein starker Partner gefragt ist.

Manchmal werde ich gefragt: Zentralrat – Zentralwohlfahrtsstelle – das klingt alles so ähnlich. Wie unterscheidet ihr euch eigentlich? Daher möchte ich diese Gelegenheit nutzen, hier für Aufklärung zu sorgen. Der Zentralrat der Juden in Deutschland ist der Dachverband der jüdischen Gemeinden. Das bedeutet, dass wir zum einen mit unserem Know-how die Gemeinden unterstützen, zum anderen deren Bedürfnisse oder auch Sorgen bündeln und in unsere politische Arbeit aufnehmen. Als politischer Dachverband achten wir auf gesellschaftliche Entwicklungen im Land, auf die Gesetzgebung und die Parteien und erheben frühzeitig unsere Stimme, um gegen Missstände zu protestieren oder unsere Anliegen zu vertreten.

Die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland fährt ebenfalls zweigleisig. Sie unterstützt Gruppen wie Jugendliche, Senioren oder behinderte Menschen mit ihrem Know-how und mit zig Angeboten. Zugleich vertritt sie in der Politik und in Bündnissen mit anderen Organisationen deren soziale Bedürfnisse.

Bertha Pappenheim hatte früh erkannt, dass eine zentrale Stelle mehr Durchschlagskraft hat als viele kleine Einheiten. Ohne auf die religiöse Ausrichtung oder die Herkunft zu achten, setzte sie sich für die sozialen Belange der jüdischen Gemeinschaft ein. Ebenso macht es die ZWST. Und auch der Zentralrat der Juden in Deutschland folgt diesem Vorbild.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Palette der Aufgaben der ZWST ist heutzutage deutlich umfassender als in der Gründungsphase. Alle Bereiche aufzuzählen, würde aus meinem Grußwort einen langen Vortrag machen. Das möchte ich Ihnen ersparen. Ein Projekt möchte ich aber hervorheben. Nicht nur, weil es neu ist, sondern weil die Einrichtung dieses Zentrums ein bezeichnendes Licht auf unsere Zeit wirft: Ich rede vom Kompetenzzentrum Prävention und Empowerment.

Die Fachstelle ist Anlaufpunkt für jüdische und nicht-jüdische Organisationen, um ihre Mitarbeiter gegen Antisemitismus zu wappnen. Auch Menschen, die antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt waren, finden dort Hilfe. Es ist eine wirklich spezielle Sozialarbeit, um Menschen in die Lage zu versetzen, dem Antisemitismus in all seinen heutigen Erscheinungsformen entgegentreten zu können.

Dieses „Coaching gegen Judenhass“, wie die Jüdische Allgemeine es nannte, brauchen wir leider nötiger denn je. Denn die allgemeine verbale Enthemmung macht auch vor antisemitischen Äußerungen nicht Halt. Sei es in Zuschriften oder Kommentaren im Internet – unsere Gemeinden spüren Judenhass inzwischen offener als früher.

Auch die um sich greifende Abneigung gegen Israel, die häufig auf alle Juden generell übertragen wird, erfüllt uns mit Sorge. Hier ist ein Antisemitismus entstanden, der von den meisten Bürgern gar nicht als solcher wahrgenommen wird, dem wir Juden aber immer häufiger ausgesetzt sind. Wir werden stellvertretend für das in Haftung genommen, was Deutsche an Israel kritisieren. Damit geht eine soziale Ausgrenzung einher, denn Juden werden damit als Fremde, als nicht Dazugehörige, stigmatisiert. Immer häufiger gibt es ein „Wir“ und ein „Ihr“.

Diese Einschätzung aus der jüdischen Community selbst hat dank Marina Chernivsky, der Projektleiterin des Kompetenzzentrums, auch Eingang in den Unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus gefunden. Der Expertenkreis war vom Deutschen Bundestag berufen worden und hat in diesem Frühjahr seinen Bericht vorgelegt.

Die jüdische Gemeinschaft bringt der demokratischen Kultur in Deutschland eine hohe Wertschätzung entgegen. Zu dieser Kultur gehören für uns essenziell Respekt und Toleranz. Daher werden wir den wachsenden Antisemitismus nicht einfach so hinnehmen. Die Einrichtung des Kompetenzzentrums ist im Kampf gegen Antisemitismus auf sozialer Ebene ein sehr wichtiger Schritt!

Der Zentralrat der Juden hat darüber hinaus vor allem eine Empfehlung des Unabhängigen Expertenkreises aufgegriffen, für die wir uns auf diversen politischen Kanälen stark machen: Wir fordern die Einsetzung eines Beauftragten auf Bundesebene zur Bekämpfung des Antisemitismus. Ein solcher Beauftragter ist uns wichtig, weil er kontinuierlich und nachhaltig das Thema Antisemitismus im Blick behalten und auf die politische Agenda setzen kann. In der Regel befassen sich Bundesregierung und Bundestag nur dann damit, wenn etwas Gravierendes vorgefallen ist. Präventives Handeln wird auf diese Weise unmöglich.

Ein Beauftragter oder eine Beauftragte könnte jedoch auch bei der Gesetzgebung und in Zusammenarbeit mit den Ministerien den Kampf gegen Antisemitismus viel effektiver führen, als es bisher der Fall ist. Prävention und Empowerment – das sollte auch auf der höchsten politischen Ebene gelten!

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie Sie sich vorstellen können, sind die Zentralwohlfahrtsstelle und der Zentralrat der Juden häufig auch Sparringspartner. Dann arbeiten wir ergänzend, oft genug auch in enger Abstimmung. Wir setzen uns gemeinsam für die Belange der jüdischen Gemeinschaft ein, denn wir möchten hier in Deutschland eine gute und sichere Zukunft haben!

Nun könnte man angesichts der Fülle von Projekten der ZWST meinen, dahinter verberge sich eine riesige Geschäftsstelle. In Wahrheit ist die Mannschaft sehr klein. Doch mit einem überaus großen Engagement und sehr viel Erfahrung und Fachwissen stemmen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Aufgaben.

Im Namen der jüdischen Gemeinschaft möchte ich Ihnen dafür meinen ganz herzlichen Dank und meinen Respekt aussprechen! Ebenso gelten mein Dank und mein Respekt den vielen Ehrenamtlern, die auf Machanot oder an anderer Stelle die Angebote der ZWST erst zu dem machen, was sie sind.

Zum Jubiläum gratuliere ich von Herzen und wünsche der ZWST, dass sie immer wieder Mitarbeiter gewinnt, die sich wie Bertha Pappenheim als Anwälte der Menschen verstehen, die unsere Hilfe brauchen. Wenn das gelingt, können wir zuversichtlich in die Zukunft blicken. Und ich bin mir sicher: Es wird gelingen!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

 

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