Antisemitismus in Deutschland und Europa – Herausforderungen und Lösungen neuer Generationen



Grußwort Daniel Botmann,  Dänische Botschaft, 10. Dezember 2018

Foto:Peter Toftlund

Anrede,

mein herzlicher Dank gilt zunächst Ihnen Exzellenz, verehrter Botschafter Petersen und Ihrem Team. Sie haben sich nun schon zum zweiten Mal in kurzer Zeit des so wichtigen Themas Bekämpfung des Antisemitismus im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung angenommen.

Vor wenigen Wochen hat der Zentralrat der Juden in Deutschland in der Synagoge Rykestraße in Berlin die zentrale Gedenkveranstaltung aus Anlass des 80. Jahrestages der Novemberpogrome durchgeführt. Die gesamte Staatsspitze hat sich aus diesem Anlass versammelt und derer gedacht, die in der Nacht vom 09. auf den 10. November angegriffen, geschlagen, überfallen, vergewaltigt, beraubt und vielfach ermordet wurden.

Politik und Gesellschaft, Juden und Nichtjuden, junge Menschen und Zeitzeugen der damaligen Ereignisse haben gemeinsam der Schrecken der Novembernächte gedacht. Die Gewalt, die sich in der Nacht vom 09. auf den 10. November 1938 entlud, war ein erster Höhepunkt, der im Rückblick unmissverständlich anzeigte, was folgen sollte, was schließlich in der Schoa enden und Millionen Juden das Leben kosten sollte.

 

In einer, wie ich fand, bewegenden Zeremonie haben junge Likratinos – sie werden das Dialog-Projekt des Zentralrats nachher noch kennenlernen – Zeitzeugnisse aus dem 1938 Projekt „Posts from the Past“ vorgetragen und so das Erleben derer, die das Jahr 1938 miterleben mussten, für die heute lebenden Menschen fühlbar und sichtbar gemacht.

 

In unmittelbarer zeitlicher Nähe zu diesem Tag fand in Berlin der jüdische Zukunftskongress statt.

 

Was für ein Zeichen, welch‘ ein Bild hier in Berlin!

 

Juden in Deutschland können heute auf eine großartige Erfolgsgeschichte zurückblicken. Nicht nur ist gelungen, was nach der Schoa undenkbar schien: Jüdisches Leben in Deutschland wieder zu etablieren, ihm eine Struktur und Gestalt zu geben.

 

Jüdische Gemeinden, Kindergärten und Schulen entstanden. Es gibt ein reiches rabbinisches, religiöses und studentisches Leben in diesem Land. Die jüdische wissenschaftliche und theologische Landschaft ist vielfältig wie nie zuvor. Wir können auf die erfolgreiche Arbeit von jüdischen Künstlern, Schriftstellern und Akademikern stolz sein.

 

Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat wichtige Bildungsprojekte auf der Ebene der Kultusministerkonferenz zur Bekämpfung von Antisemitismus in Schulbüchern angestoßen. Er hat das bundesweit agierende Begegnungs-Projekt Likrat ins Leben gerufen, bei dem jüdische Schülerinnen und Schüler im Alter von 15-18 Jahren zu zweit in Schulklassen gehen, um mit Gleichaltrigen über ihr Judentum zu sprechen. Jüngst wurde von jungen Jüdinnen und Juden das Projekt Keschet ins Leben gerufen, ein Projekt, das künftig queeres jüdisches Leben fördern will.

 

Blickt man auf jüdisches Leben heute, kann man also mit Fug und Recht sagen: Soviel Zukunft war nie nach der Schoa.

 

Und doch ist er da, dieser leise nagende Zweifel, insbesondere an den großen Gedenktagen. Der Zweifel daran, wie sicher jüdisches Leben heute wirklich ist. Der Blick geht dabei über Deutschland hinaus auf ganz Europa.

 

Wenn wir auf den 09. November 1938 schauen und darauf, wie Hass, Hetze und Extremismus auch heute wieder europaweit durch die Straße spülen, dann nehmen Juden dies in besonderer Weise als bedrohlich war.

Ist es das, fragen wir uns: Das „Schon wieder“?

 

Antisemitismus ist nicht nur in Deutschland eine anscheinend unausrottbare Krankheit. Eine Krankheit der Völker. Aber in Deutschland hat sie in einem eskalierenden Rassenwahn zum industriell durchgeführten Massenmord geführt. Deshalb hat das Gedenken an den Völkermord in Deutschland einen besonderen Platz, und den muss es auch behalten.

 

Jüngst hat eine Umfrage des US-Fernsehsenders CNN zum Antisemitismus in Europa ergeben, dass rund ein Drittel der Europäer wenig bis nichts über die Schoa weiß. Das muss uns alarmieren und Konsequenzen für unsere Bildungspolitik, für die Lehrpläne an den Schulen, für die Aus- und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern haben.

 

Ein Kampf gegen Antisemitismus ohne die Erinnerung an die Schoa ist undenkbar.

Aber er darf sich selbstverständlich nicht darin erschöpfen.

 

Wir brauchen engagierte, aktive und gut ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer. Wir brauchen Juristen und Polizisten, die in der Lage sind, Antisemitismus zu erkennen. Wir brauchen eine aussagefähige polizeiliche Kriminalstatistik.

 

Die jüngst erfolgte Gründung des Bundesverbandes Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus RIAS e.V. wird eine systematische, bundesweit einheitliche Erfassung antisemitischer Vorfälle erst möglich machen. Hierdurch haben wir die Chance, den Kampf gegen Antisemitismus auf ein tragfähiges Fundament zu stellen und damit endlich effizienter zu machen.

 

 

Denn nur, wenn wir genau wissen, aus welchen Quellen sich der Antisemitismus aktuell speist, können wir ihn erfolgreich und nachhaltig bekämpfen.

 

Nur dann können wir entsprechende Präventionsmaßnahmen ergreifen, die das Feuer austreten, bevor es zum Flächenbrand wird. Das gilt für jede Form von Antisemitismus – von rechts oder von links. Das gilt für Antisemitismus unter Muslimen oder Migranten. Das gilt für den Antisemitismus aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft. Es gilt für eine aktuell grassierende Form des Antisemitismus, die gern vermeintlich harmlos als sogenannte „Israelkritik“ daherkommt, aber in letzter Konsequenz nichts anderes im Sinn hat als die Abschaffung des Staates Israel.

 

Das gilt auch für den Antisemitismus, der die Religionsfreiheit negiert und religiöse Grundrechte des Judentums wie z.B. die Beschneidung oder das Schächten zur Disposition zu stellen versuchen. Unser besonderes Augenmerk muss auch dem gewalttätigen Rechtsextremismus bis hin zum sogenannten Rechtspopulismus gelten.

 

Wenn ich jüngst im Tagesspiegel lese, dass über 10.000 Menschen seit der Wiedervereinigung Opfer rechter Gewalt geworden sind, stelle ich mir die Frage, ob dieser unerträgliche Zustand wirklich hinreichend im Bewusstsein unserer Bevölkerung verankert ist. Im Bewusstsein nicht nur der Bevölkerung, der zuständigen Ministerien, der Justiz, den Strafverfolgungsbehörden, der Polizei und der Zivilgesellschaft.

 

Insbesondere letztere sieht sich übrigens auch im Zuge des Durchmarsches der AfD in die Länderparlamente und in den Bundestag zunehmend massiven Angriffen von rechts ausgesetzt. Nicht nur hetzen AfD und ihre Netzwerke gegen Minderheiten, vor allem gegen Muslime, Juden, Schwule und Lesben, gegen Sinti und Roma und andere Minderheiten, sie versuchen auch zunehmend, der Zivilgesellschaft durch Diffamierung und Mittelkürzungen „den Hahn“ abzudrehen.

 

Das ist eine Gefahr, die wir nicht ernst genug nehmen können.

 

Der Autor und Rechtsextremismusexperte Andreas Speit, meine Damen und Herren, hat in seinem jüngst erschienenen Buch „Das Netzwerk der Identitären“ das Ziel der braunen Netzwerke so definiert: Das Ziel des rechten Milieus ist nichts anderes als Zitat „die Zerstörung der demokratischen Kultur, das Ende einer libertären Gesellschaft“.

 

Nur wer das wirklich versteht, wird in der Lage sein, eben jenen Antidemokraten auf jeder Ebene ihrer perfiden Strategien erfolgreich entgegenzuwirken.

 

Uns dafür zu engagieren, dazu sind wir alle aufgefordert. Jeden Tag, an jedem Ort, egal ob jung oder alt. Es ist unser Land – überlassen wir es nicht den Hetzern und Hassern.

 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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