25. Jahrestag des AMIA-Attentats



Grußwort des Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Abraham Lehrer, bei der Gedenkveranstaltung zum 25. Jahrestag des AMIA-Attentats in Buenos Aires

Copyright: Botschaft der Republik Argentinien

 

Exzellenzen,

sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestags,

meine sehr geehrten Damen und Herren!

Die Erinnerungen an das schreckliche Attentat auf das jüdische Gemeindezentrum in Buenos Aires vor 25 Jahren sind vor kurzem noch einmal sehr lebendig geworden – als die Urteile im Prozess fielen, in dem es um die Vertuschung der Tat ging. Acht der 13 Angeklagten wurden für schuldig befunden.

So wichtig dieser Richterspruch war - die Opfer des Anschlags macht er nicht wieder lebendig. Bis heute leiden auch die Angehörigen der 85 Toten und Viele der damals Verletzten unter diesem Vorfall.

Wir sind es ihnen, aber auch der argentinischen Gesellschaft sowie der jüdischen Gemeinschaft weltweit schuldig, dieses Verbrechen nicht zu vergessen und der Opfer zu gedenken.

Die Hintergründe des Anschlags sind leider bis heute nicht wirklich geklärt – was auch mit der Vertuschung damaliger Verantwortungsträger zu tun hat. Als Auftraggeber wurde immer die Hisbollah vermutet. Nach Auffassung des Zentralrats der Juden ist es überfällig, dass Deutschland die Hisbollah in Gänze als Terrororganisation einstuft und hierzulande verbietet.

Leider ist die Welt nach dem AMIA-Anschlag nicht besser geworden. Antisemitismus ist in den vergangenen 25 Jahren nicht verschwunden. In Argentinien nicht. Und in der übrigen Welt auch nicht.

Mit Erschütterung haben wir im Februar die Nachricht vom Angriff auf AMIA-Rabbiner Gabriel Davidovich vernommen.  Die Täter drangen in seine Wohnung ein, fesselten ihn und schlugen ihn zusammen. Mit Rippenbrüchen und inneren Verletzungen wurde Rabbiner Davidovich ins Krankenhaus eingeliefert.

Zugleich ist Argentinien das Zuhause von rund 200.000 Juden. Nicht erst in der Nazi-Zeit wurde Argentinien Zufluchtsort für europäische Juden. Schon am Ende des 19. Jahrhunderts war das stolze südamerikanische Land Rettungsanker für Juden aus Russland. Auch aus Deutschland emigrierten schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts viele Juden nach Argentinien. Auf der Flucht vor den Nationalsozialisten gelang es dann trotz schwieriger Einreisebestimmungen rund 45.000 deutschen Juden, sich in Argentinien niederzulassen.

Diese Tatsache, dass Ihr Land zur Rettung so vieler Juden beigetragen hat, werden wir auch nie vergessen!

Es gibt noch die andere Seite der Medaille – dass im Argentinien nach 1945 auch viele Nazi-Täter untertauchen konnten. Doch es würde jetzt zu weit führen, sich mit diesem Kapitel der deutsch-argentinischen Geschichte näher zu befassen.

Ich möchte noch ein paar Sätze über den heutigen Antisemitismus in Deutschland verlieren.

Gerade erst haben wir erneut eine Debatte geführt über die mangelnde Sicherheit jüdischen Lebens in Deutschland. Angestoßen wurde diese Debatte vom Antisemitismus-Beauftragten der Bundesregierung, Felix Klein.

Seine Empfehlung an uns Juden, keine Kippa in der Öffentlichkeit zu tragen, wurde zum Teil als Kapitulation des Staates gelesen. So war sie sicherlich nicht gemeint. Felix Klein wollte auf eine Tatsache aufmerksam machen, vor der die Mehrheitsgesellschaft nur zu gerne die Augen verschließt: Juden, die auf der Straße als Juden zu erkennen sind, müssen damit rechnen, angefeindet zu werden, sei es verbal oder sogar körperlich.

Erst vor kurzem wurde unser Rabbiner in Köln in der U-Bahn übelst antisemitisch beleidigt.

Und was ist die häufigste Erfahrung, die die betroffenen Juden in solchen Situationen machen?

Keiner hilft. Keiner greift ein.

Umstehende oder andere Passanten tun lieber so, als hätten sie nichts mitbekommen.

Meine Damen und Herren,

es fehlt an Zivilcourage in unserem Land.

Es geht nicht darum, sich gewalttätigen Neonazis in den Weg zu stellen. Davon kann man nur abraten. Hier ist es sinnvoller, gleich die Polizei zu rufen.

Aber es sind nicht nur rechte Schlägertypen und auch nicht nur Machos mit arabischem Hintergrund, die Juden bedrohen. Nein, es sind ganz häufig Menschen, die wir als normale Bürger bezeichnen würden.

Bei unserem Kölner Rabbiner war es ein älterer Mann, der ausfällig wurde.

Hier gefährdet niemand die eigene Gesundheit, wenn man sich einschaltet und das Wort ergreift.

Wir brauchen jedoch eine höhere Sensibilität für Antisemitismus und im Übrigen auch für Rassismus. Und wir brauchen mehr Kenntnisse.

Bei Antisemitismus, der in Form einer überzogenen Kritik an Israel daherkommt, erkennen viele die antisemitischen Züge gar nicht. Das gilt manchmal sogar für Richter. Ebenso für Lehrer oder Polizisten.

Hier brauchen wir eine bessere Aus- und Fortbildung, damit genau diese Berufsgruppen besser gewappnet sind.

Denn Antisemitismus muss nach Möglichkeit schon bei jungen Menschen bekämpft werden. Noch besser wäre, ihn gar nicht erst aufkommen zu lassen, sondern präventiv tätig zu sein.

Dafür sind Investitionen nötig: in die Lehrerfortbildung, bei den Integrationskursen, bei der Ausstattung und Ausbildung von Polizei und Justiz.

Es geht dabei nicht nur um den Umgang mit Juden und anderen Minderheiten. Es geht um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Wenn unser Staat an einem friedlichen Zusammenleben interessiert ist, sollte er diese Investitionen nicht scheuen. Diese Verantwortung kann nicht alleine auf die Zivilgesellschaft abgeschoben werden.

Der Zentralrat der Juden leistet ebenfalls seinen Beitrag zur Bekämpfung des Antisemitismus, auch wenn wir das nicht in erster Linie als Aufgabe der jüdischen Gemeinschaft sehen. Zwei konkrete Projekte möchte ich Ihnen beispielhaft nennen:

Wir führen seit zwei Jahren Begegnungen von jüdischen und nicht-jüdischen Jugendlichen in Schulen durch. Dafür bilden wir jüdische Jugendliche in Workshops extra aus. Sie besuchen dann Schulklassen und erzählen den Gleichaltrigen von ihrem Alltagsleben als Juden.

Daneben haben wir vor wenigen Wochen ein weiteres Projekt gestartet: es geht dabei um die Prävention von Antisemitismus bei Muslimen. Wir wollen den jüdisch-muslimischen Dialog so stärken, dass wir durch die Begegnung Antisemitismus verhindern. Diese Dialogformate sollen in verschiedenen Städten Deutschlands und in Kooperation mit unseren jüdischen Gemeinden vor Ort stattfinden.

Wir sind davon überzeugt, dass durch gegenseitiges Kennen- und Schätzenlernen viele Vorurteile abgebaut werden können. Auch für die Integration von Zuwanderern in unsere Gesellschaft halten wir dies für sehr wichtig.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

was ich aber abschließend auch betonen möchte: Es ist jetzt aktuell offenbar gerade im Ausland der Eindruck entstanden, jüdisches Leben sei in Deutschland massiv gefährdet.

Das ist nicht der Fall. Für tausende Juden ist Deutschland selbstverständlich ihr Zuhause. Ebenso wie es für tausende Juden in Argentinien der Fall ist.

Bestimmte Vorsichtsmaßnahmen sind leider notwendig. Dennoch fühlen sich die meisten Juden in ihrer Bewegungsfreiheit nicht eingeschränkt und denken auch nicht an Auswanderung. Die übergroße Mehrheit der hiesigen Juden sieht ihre Zukunft in Deutschland.

Ende vergangenen Jahres war eine Gruppe junger jüdischer Studierender zu Gast in Argentinien. Die jungen Menschen waren begeistert davon, dass Jüdisch Sein in Argentinien als völlig normal und unspektakulär wahrgenommen wird.

Ich wünsche mir sehr, dass argentinische Studierende mit dem gleichen Eindruck nach Hause kommen, wenn sie Deutschland besucht haben.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

5. Juni 2019, Bundestag

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